Vom Sprachlosen zum Geschichtenerzähler

Hallo, ihr wunderschönen Menschen da draußen!

 

Nachdem ich letztens kritisch über unseren verklärten Blick auf das Leben in "weniger entwickelten Länder" geschrieben habe, soll es heute um die positiven Aspekte von Auslandsjahren gehen!

Falls du dich fragst, was es bedeutet, Freiwilliger in Timișoara zu sein und warum du ins Ausland gehen solltest - dann bekommst du jetzt meine ehrliche Antwort.

 

Beinahe ein Jahr lebe ich in Timișoara. Anfangs hab ich mich an meiner Zunge verschluckt, denn etwas Richtiges oder Wahres zu sagen, fühlte sich falsch an. Ich versuchte es hin und wieder und ließ es schnell. Phrasen und Vorurteile sind ihre Worte nicht wert.
Da waren die vielen Fragen meiner Freunde und Familie, mit ihrer Vorstellung, wie das Leben eines jungen Menschen im Ausland aussieht. Eine Vorstellung, die ganz und gar an meiner Realität vorbeigeht. Ich kann nicht sagen, dass Rumänien eine zweite Heimat für mich geworden ist.  Ich habe mich angestrengt. Andere Menschen haben sich angestrengt, auf dass ich mich zuhause fühle. Vielleicht habe ich mich nicht genug bemüht. Ich kann aber sagen, dass mich dieses Land verändert hat, auch wenn diese Veränderung vermutlich einseitig ist. Ich kann sagen, dass ich Rumänien nicht kenne. Nicht verstehe. Dass die Widersprüche zwischen Selbsthass und giftigem Nationalismus zu kantig sind. Dass ich mir nicht vorstellen kann, hier zu leben. In einem korrupten Staat, der Demokratie und Pluralismus mit Füßen tritt. Ich verstehe, warum meine beste Freundin ihre Heimat verlassen musste. Aber ich kenne sie auch: Menschen, die ein erfülltes Leben führen und sich für den Fortschritt in ihrem Land einsetzen. Ich kenne die Menschen, die am Sonntag wählen gehen - auch wenn es vielleicht nur die Wahl des geringsten Übels ist. Neben einem Wollknäuel an Gefühlen bleiben einige Erfahrungen, die ich mit euch teilen möchte.

 

Sprache – trennt und verbindet?

 

Wenn du dir denkst, dass du die falsche Person bist für ein Auslandsjahr, weil du zu schüchtern bist oder kein Talent hast, muss ich dir diese Ausrede leider nehmen. Denn ich bin ein Tollpatsch und finde zuverlässig jedes Fettnäpchen, mein englischer Akzent ist echt peinlich und ich habe eine tote Sprache gelernt. Mein Interesse an direktem interkulturellen Kontakt war nie sonderlich hoch und ein Hippie und Weltreisender bin ich auch nicht. Klingt nach schlechten Chancen.

Letzten Endes spreche ich passables Rumänisch - korrekt genug, um dafür gelobt zu werden, aber nicht gut genug, um es  selbstverständlich zur Kenntniss zu nehmen. Viel wichtiger war aber die Erfahrung, mir selber Rumänisch beizubringen.

Schreibt euch hinter die Ohren: Jeder Mensch kann Sprachen lernen, wenn er will. Es geht nicht um "perfekt" oder "fließend".

Sprache ist Identität. Eine Art zu denken. Und zu leben. Sprache trennt und verbindet. Das hängt ganz von dir ab.

 

Was kann ich verändern?

 

Momentan demonstrieren auf der ganzen Welt Schüler unter dem Motto „Fridays for Future“ für eine umweltfreundlichere Politik. Strukturen verändern sehr viel. Politiker, die korrupt sind, eine Bevölkerung, die nicht als Zivilgesellschaft organisiert ist, eine orthodoxe Kirche, die mit der Regierung zusammenarbeitet, ein Bildungswesen, das kritisches Denken gar nicht erst anstrebt, eine Vergangenheit, die keinerlei Zeit für Demokratie ließ. All diese Faktoren sind Gründe dafür, warum Rumänien heute in der Krise steckt. Im Sommer 2018 war in den deutschen Medien die Rede von einem rumänischen Frühling, einer Emanzipation zu freien, liberalen Europäern. Dieser Traum wurde erschütternd zerschlagen, durch Tränengas, Schlagstöcke und das Nichthandeln der EU. Du bist ein Teil des Problems. Und du kannst die Lösung sein. Ein Teil der Lösung. Wenn du das möchtest. Aber die Macht von Strukturen lässt sich vom Einzelnen nicht durchbrechen. Dafür braucht es gesamtgesellschaftliche Bewegungen, die in die Politik hineinwirken.

 

Was soll das eigentlich mit dieser "kulturellen Kompetenz"?

Nach einem Jahr Ausland habe ich noch immer Zweifel, ob ich mich als kulturell kompetent bezeichnen würde. Ich zweifle manchmal sogar daran, ob ich das überhaupt will. Ich habe herausgefunden, wie sehr ich die Privilegien und die Werten unserer westlichen Gesellschaft wertschätze. Ich habe aber auch  verstanden, warum andere Kulturen  anders funktionieren. Und ich akzeptiere das. Entscheidend ist aber: Schaffe ich es  andere Kulturen nicht nach meinen Werten zu beurteilen? Ich denke nicht. Ich bin besonnen genug, andere Werte nicht zu verurteilen. Nicht laut schreiend meine Meinung anderen kundzutun. Anderen Meinungen nicht mit moralischer Keule den Garaus zu machen.  Aber es gibt Dinge, die ich als nicht verhandelbar ansehe und die sich meiner kulturellen Toleranzgrenze entziehen. Ich habe in diesem Jahr meine eigene Kultur zu verstehen versucht - und dabei viel gelernt.

Bin ich deswegen kulturell inkompetent? Ich weiß es nicht. Aber ich denke, diese Frage hat das Potenzial, sich von jedem gestellt zu werden.

 

Meine wichtigste Erkenntnis für dich, lieber Wanna-Be-Volunteer, ist: Ein Freiwilliges Jahr ist das, was du daraus machst!

Du entscheidest, ob du in diesem Jahr flügge werden willst, eine Sprache fließend lernst, viele Freunde findest, bis zum Abend schuftest, komplett in den rumänischen Alltag eintauchst oder dich im Kulturleben tummelst.

Vielleicht versuchst du es auch mit einem buntem Salat aus allem - damit bin ich am besten gefahren.

 

Bis bald

Eure Pauline