Warum Menschen ihre Heimat verlassen…

Hallo, ihr wunderschönen Menschen da draußen!

 

Hin oder weg? Das ist hier die Frage! Vielleicht auch beides…

 

Über zwei Millionen Rumänen haben ihre Heimat verlassen, um im Ausland zu leben und zu arbeiten.

 

Ich gehöre zu einer geringen Anzahl deutscher Freiwilliger, die für ein kurzes knackiges Jahr nach Rumänien gehen.

 

Ich bin hingegangen - sie sind weggegangen.

 

Weg von etwas. Weg von einem System, das nicht funktioniert. Nicht, weil es nicht schön wäre. Nicht, weil sie irgendwohin möchten. Sondern weil dieses Land ihnen keine Perspektiven bietet. Irgendwo finden sie Arbeit, lernen eine fremde Sprache. In Italien, Spanien, Österreich, Deutschland oder England. Was mich unendlich viel Mut und Überwindung kostete, ist hier eine große Chance.

 

Im Sommer letzen Jahres bin ich mit einer „Warum auch nicht?“-Einstellung nach Timisoara gekommen. Ich bin hingekommen. Hin zu einer neuen Sprache, einem festen Arbeitsplatz, wertvollen Erfahrungen und unbekannten Menschen. Ich bin gekommen, um zu lernen. Im Hinterkopf stets der Gedanke, dass Zuhause ein sicherer Hafen auf mich wartet. Dass ich immer noch zurück kann, wenn es mir nicht gefällt. Und was sollte auch Schlimmeres passieren, außer dass es mir nicht gefällt?

 

Nicht unweit unserer Wohnung hing ein Schild: Die Rumänen machen auch gute Sachen.

 

Anfangs habe ich jene, die von Rumänien nach Deutschland gehen, insgeheim kritisiert. Ich fand es traurig,  dass man sein Land so wenig liebt, dass man keine guten Worte mehr für es übrig hat. Das „typisch rumänisch“ eben in erster Linie bedeutet: schnell gemacht.

 

Natürlich ist Rumänien ein wunderschönes Land. So wie jedes Land und jedes Volk doch schön sind. Schön durch ihre Vielfalt.

 

Ich habe hier gelernt, was es bedeutet, deutsch zu sein, weil mich meine Mitmenschen durch die Brille einer Deutschen gesehen haben.

 

Ich komme aus dem Osten. Und ich bin in den Osten gegangen.

 

Osten – das bedeutet in Deutschland DDR. Dort, wo die AfD stärkste Volkspartei ist. Wo früher der Farbfilm vergessen wurde, lebt heute vermeintlich ein Volk unter blauem Schleier.   

 

Osten -  das bedeutet in Europa: Balkan. Auch hier in Rumänien, das eigentlich kein Balkan ist. Ein Land, das sich über den glorreichen Glanz alter Zeiten definiert, weil die Vergangenheit nichts übriggelassen hat für die Gegenwart. Hier spricht man nicht über Zukunft. Die Zukunft Rumäniens liegt im Ausland - die Trümmer Ceaușescus sehenswerter als das alltägliche Leben.

 

Würde man den Osten zur Syndrom-Analyse an einen Psychologen verweisen, würde der Befund „kollektiver Minderwertigkeitskomplex“ und „Geschichtstrauma“ lauten. Ich möchte heute aber nicht über Perspektiven reden, sondern über Fakten. Das Problem des alten Ost-West-Zankes liegt neben seinem ideologischen Missbrauch durch Populisten aller Art an dem nicht unerheblichen Wahrheitsgehalt der Geschichte von der Ungleichverteilung der Güter.

 

Objektiv betrachtet geht es den Menschen in Osteuropa verdammt scheiße.  

 

Wenn Leute über Temeswar aber sagen, dass es eine westliche Stadt ist, grenzt das an Überheblichkeit. Wegen des Nachtlebens und der fancy Lokale. Temeswar ist eine schöne Stadt.

 

Der Osten ist schön. Meine Solidarität und mein Respekt gehören den Menschen, die im Sozialismus entbehrt und gelitten haben. Immer noch leiden. Die sich als Verlierer fühlen, um die sorgsam geschürte Hoffnung der Wende betrogen, wenn nicht sogar als Opfer westlicher Hegemonie.

 

Mein Verständnis gehört den Menschen, die hier in Rumänien auf die Straße gehen und ihre Hoffnungen auf die EU setzten.

 

Und dann fallen wieder andere Sätze: In 30 Jahren hat die Regierung nicht eine gute Sache getan. Und wenn Ceausescu den Leuten nur Essen gegeben hätte, wäre es nie zur Revolution gekommen. Und vielleicht wäre es besser gewesen.

 

Heimat? Das ist ein Gefühl. Nicht sonderlich logisch und politisch gern instrumentalisiert.

 

Meine Heimat lag einst in Dresden – unter dem Blätterdach unserer Obstbäume. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher.

 

Jeder Mensch hat das Recht, seine Heimat zu lieben, ohne sich dafür schämen zu müssen. Egal, wo er sie findet. Egal, wie viele Heimaten er hat.

 

Aber kein Mensch sollte seine Heimat verlassen müssen, um sich ein würdiges Leben aufzubauen.

Und kein Mensch besitzt das Recht, anderen vorzuschreiben, wie diese Heimat auszusehen hat.