Die Metamorphosen

Hallo, ihr wunderschönen Menschen da draußen!

 

Meinen flinken Fingern ist zwischen leergelesenen Büchern und Lidl-Rechnungen ein kleines Juwel meiner Ich-warte-auf-die-Abreise-Zeit in die Hände gefallen. Mit der heranrückenden Halbzeit ist der Moment für ein paar Halbwahrheiten gekommen. Grund genug, den Blick über meine Kritzeleien schweifen zu lassen und schnörkellos das ein oder andere Urteil auszusprechen, denn die Konfrontation mit der Wirklichkeit ist einer der wirksamsten Medikamente gegen postpupertäre Selbstüberschätzung.

 Auf drei Fragen musste ich im traurig-traumhaften Augustwetter Antworten suchen. Noch halb Schülerin – halb heimatloser Freigeist, „auf der Suche nach dem großen Vielleicht“. Aber lest selbst, was ich zu sagen hatte!

 

 

Worauf freue ich mich?

 Fünf Tage. Das ist eine klitzekleine Zeitspanne, vergleichbar mit dem Flügelschlag einer Libelle. Ebenso sind meine Gedanken nur eine Momentaufnahme, sehr vergänglich und schwer zu fassen im To­hu­wa­bo­hu.

Für mein abiturgeschundenes Hirn sind das ganz schön viele Glücksgefühle!

 Mein emotionales Barometer switcht im Sekundentakt zwischen „Waaaaah, ich freue mich sooooo!“ und einem verzweifelten „Wie soll ich das überleben?“.

 Meine Augen beginnen freudig zu leuchten, wenn ich an die Bilder der pittoresken Altstadt von Timişoara denke. Bei meiner ersten spontanen Recherche spuckt Google mir Panoramen von weitläufigen Plätzen mit üppigem Grün aus, die von sandfarbenen Bauwerken aus dem Altertum gesäumt sind. Als Vegetarierin und Teilzeitköchin träume ich vom Obst- und Gemüsehimmel in Rumänien und freue mich auf die Erfahrung, in einer WG   mit meinen Mitfreiwilligen zusammenzuleben.

Mehr als alles andere bin ich voller Neugier und Aufregung in Erwartung dessen, was meine Arbeit im Hospiz anbelangt. Ich erhoffe mir, in dieser intensiven Zeit die Betroffenen so zu sehen, wie sie als Mensch gemeint sind. Das größte Geschenk ist für mich, anzukommen und von einer Fremden mit mäßigen Sprachkenntnissen zu einer Vertrauten zu werden!

 

Wovor fürchte ich mich?

Puh, das ist eine schwierige Frage! Niemand gibt gern zu, sich zu fürchten und ich muss sagen, dass tausend Zweifel an mir nagen, wenn ich abends im Bett liege und auf meine mit Plakaten zugepflasterten Wände starre.

Niemand ist wohl vor der Angst vor dem Unbekannten und Kontrollverlust gefeit und so gehören tausend offene Fragen zu einem Auslandsjahr dazu.

Anbei möchte ich jedoch bemerken, dass wir von unseren Referenten mit viel Engagement vorbereitet wurden – das gibt mir eine gehörige Portion Vertrauen.

Hinter mir liegt ein Pflasterweg von Abschieden. Es ist ein seltsames Gefühl, so viele Menschen zurückzulassen und für ein Jahr Lebewohl zu sagen. In den 12 Jahren Schule war mein soziales Umfeld die Konstante, die mir ehesten das Gefühl von etwas gegeben hat, was manche Heimat nennen. Der Gedanke, meinen Eltern in die Augen zu sehen und für ein Jahr „Ich bin dann mal weg…“ zu sagen, mir vorzustellen, wie meine Mutter mir der Figur aus einem griechischen Drama gleichend zuwinkt während ich in den Bus steige, macht mich beklommen.

Im gleichen Maße wie mich meine Arbeit im Hospiz reizt, begleitet mich auch der Hintergedanke, dass diese Zeit emotional eine Achterbahnfahrt wird. Als bekennende Frostbeule wird mein Endgegner Kälte heißen, denn in Rumänien haben wir – Chapeau an meine Geografielehrerin – kontinentales Klima mit tiefem Sommerloch und Wintern von -35 Grad. In Kombination mit einem grauen Winterhimmel keine rosigen Aussichten. Doch alles Neue ist mit Ängsten verbunden und ungeahnte Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen – anfangs mit zitternden Knien, später hoffentlich beschwingten Schrittes.

 

Warum habe ich mich für die JVs entschieden?

 Weil ich ein Jahr anders leben will!

 Und mit anders meine ich nicht nur in einem fremden Land mit einer anderen Sprache, meilenweit weg von meiner Komfortzone im beschaulichen Dresden. In meinem persönlichen Kontext bedeutet „anders“ auch, sich auf eine mir wenig vertraute Spiritualität einzulassen.

 Insbesondere dieser Aspekt hat mich neugierig gemacht und mich bewogen, meinen Horizont zu erweitern. Durch diese Entscheidung habe ich neue wunderbare Menschen kennengelernt und bin fasziniert von der Lebensweise der Jesuiten.

 Als in mir die Idee gewachsen ist, ins Ausland zu gehen, hab ich das Internet durchforstet. Leider wirkten die meisten Programme auf mich wie ein überteuertes All Inclusive Paket aus Strandurlaub und „Lass uns noch mal was Soziales machen – kommt bestimmt gut im Lebenslauf!“.

Bei den JVs hingegen steht ein bescheidener Lebensstil im Vordergrund und wir werden auf unserem Weg begleitet von unseren Referenten. Dafür kann ich mich an dieser Stelle nur von ganzem Herzen bedanken!

 

 

Bestandsaufnahme im Jetzt

Im Voraus lässt sich jedes Übel mit blumigem Wortwuchs übertünchen, aber am Ende kommt doch immer der Zusammenknall mit der Realität und die sorgsam geschnürten Erwartungen zerplatzen wie Seifenblasen. Puff!

 Nicht dass das schlimm wäre. Im Gegenteil, denn wie ein jüngerer Christian Lindner einmal so schön sagte: "Probleme sind nur dornige Chancen". Vermutlich wusste er nicht, wovon er spricht.

 Sei es drum! Ich habe in den schönen wie schrecklichen Momenten der letzten sechs Monate viel gelernt über mich, das Leben, das Sterben und unerwarteter Weise über meine Heimat.

Ich bin gegangen, um ein fremdes Land mit einer mir fremden Kultur kennenzulernen, und habe beinahe zufällig gelernt, was mir mein Zuhause bedeutet. Ich habe gelernt, dass ich in einem anderen Lande leben kann, ja, glücklich sein kann. Aber mir ist auch bewusst geworden, wie sehr mir mein schönes Dresden ans Herz gewachsen ist. Heimat ist okay.

Ich habe gelernt, wie das meine Mitbewohnerin Dela so schön sagt, „einfach mal die Fresse zu halten“. Das Leben und mich selbst nicht so ernst zu nehmen. Galgenhumor – wenn man es so möchte.

Ich habe Menschen in ihren letzten Momenten erlebt und bin zu dem Schluss gelangt, dass nichts Verstörendes daran zu finden ist. Nichts vor dem man Angst zu haben braucht. Dass es so unglaublich normal ist. Und dass ich bei meiner Arbeit mit Sterbenden mehr über das Leben als den Tod gelernt habe.

Vielleicht bin ich kein Bilderbuchfreiwilliger, denn ich kann nicht sagen, dass mir beim Putzen, Füttern oder zweiwöchigem Verzicht auf die  Dusche der Heilige Geist erschienen ist oder ich die Erleuchtung meines Lebens erfahren habe.

Aber das wäre auch ein Armutszeugnis nach 19 Jahren!

 

Bis bald,

Euer Paulinchen